[WLANtalk] Vorbereitung Workshop Dezentralität und Selbstverständnis

Christoph Franzen freifunk at alte-pflasterei.de
Di Jul 26 18:10:15 CEST 2016


Am Fri, 22 Jul 2016 18:07:20 -0300 schrieb willi uebelherr
<willi.uebelherr at gmx.de>:

Hallo Willi,

> Die Schwierigkeit liegt mehr in unserem eigenen Denken. Wir muessen
> uns befreien, um die Telekommunikation befreien zu koennen. Weil
> jeder Akt in diesem Raum mit seiner Ausdehnung und Wirkungsmacht
> notwendig eine Kooperation vorraussetzt, wird eben diese kooperative
> Diskussion notwendig.

die meisten Leute wollen aber einfach nur kommunizieren, miteinander
reden, Nachrichten austauschen und nicht wegen schwer durchschaubarer
Abhängigkeiten erstmal die Kommunikationsmittel selber bauen oder
wenigstens komplett selber betreiben.

Wieviele von den Leuten mit Führerschein können Autos bauen? 

> Wie du sagst, wir brauchen die politische Perspektive, damit wir auch
> in der technischen Sphaere die Orientierung nicht verlieren.

Diese Sphäre interessiert die meisten nicht sonderlich.

> Gemaess heutiger Zustaende, dass die Monopolisierung der Technologien
> […] Weil im Verhaeltnis zu den Zustaenden in Latein Amerika lebt
> ihr ja recht sorglos.

Ja – genauso sorglos IST man dann aber auch im Normalfall. Bei Euch ist
man's vielleicht weniger, hat aber andere, größere Sorgen, vor denen
der „Konsumismus“ als Problem in den Hintergrund tritt.

> Aber dass die Menschen in Europa ihre Moeglichkeiten nicht nutzen,
> die vorgebenen Propagandismen ein bisschen zu hinterfragen, das
> erstaunt mich.

Mich nicht. Ich erlebe das Phänomen bei den Pfadfindern: die sind nicht
unpolitisch und recht idealistisch drauf, aber kommunikationstechnisch
voll auf dem üblichen Konsum-Pfad unterwegs.

Ich könnte nun endlos über die modernen Handy-Hohlspacken schimpfen, die
sich gedankenlos jeden überteuerten Mist aufschwatzen lassen, würde
aber nichts helfen.

Dann und wann muß ich mir als Vorwurf anhören, daß ich mir kein
Mobiltelefon anschaffe (obwohl ich objektiv betrachtet per Festnetz
nicht schlechter zu erreichen bin als die anderen mit ihren
Smartphones), als Whatsapp-Verweigerer geht schon mal ein guter Teil der
Kommunikation an mir vorbei.

Bei Slack habe ich mich jetzt doch angemeldet, weil ich sonst hier
Flüchtlingen nicht effizient freifunkmäßig helfen kann; die Aachener
benutzen das eben, obwohl man das als Freifunk-Gemeinschaft
hinterfragen und „besser“ (aber eben nicht einfacher) machen
könnte/sollte.

Der Mechanismus ist einfach: die anderen sind schon bei einem
Kommerz-Anbieter angemeldet und ziehen ihren Dunstkreis mit. Da kann
man nicht mal eben nachträglich eine freie Alternative etablieren, die
dann auch noch tendentiell schwieriger zu handhaben ist.

Nehmen wir mal die Internet-Telefonie als Beispiel, warum das so ist:

Skype: lädt man sich runter, es bohrt unbemerkt wahllos automagisch
Löcher in die Firewall und funktioniert dann „irgendwie“; hat man eine
Kamera, geht auch Video „von selber“.

Mumble: Erstmal finden, installieren und sich mit dem
Kommunikationspartner auf einen Server einigen oder gar einen
aufsetzen. Hat man dabei Probleme und einen Ort gefunden, wo man fragen
kann (ich übertreibe jetzt mal ein wenig), muß man sich vom gemeinen
Nerd als DAU beschimpfen und mit „RTFM“ abkanzeln lassen, weil die
Frage nervt, die schon gefühlte drölfzig Fantastillionen Mal
beantwortet worden ist. Viel Spaß beim Echos und Rückkopplungen
Wegkompensieren und beim Rausfinden, was „Push to Talk“ ist. Und dann
wäre da noch die Registrierung bei so manchem Server mit Zertifikat…

SIP: unbeschreibliche Konfigurations-Hölle, kein Nicht-Geek schafft es,
auch nur den eigenen Heim-Router zu überwinden und ohne einen
kommerziellen Anbieter auszukommen, selbst wenn die Fritzbox zu Hause
das kann. Braucht man dann typischerweise dynamisches DNS für.

Die Kommerziellen machen Werbung, werden also zuerst gefunden,
besonders wenn „kostenlos“ dransteht; man braucht bloß ein paar mal
auf „weiter“ zu klicken, bei Open Source muß man sich hingegen mühsam
alles zusammensuchen und danach sein gesamtes Umfeld auch davon
überzeugen.

Wunderst Du Dich noch immer? Ich mich nach wie vor nicht.

Viele Grüße, Christoph


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