[WLANtalk] Vorbereitung Workshop Dezentralität und Selbstverständnis
willi uebelherr
willi.uebelherr at gmx.de
Mi Jul 27 01:12:40 CEST 2016
Lieber Christoph und alle,
ich bin ja sehr erstaunt ueber deinen lockeren und froehlichen ton. Und
auch Allan hat mich sehr positv ueberrascht, den ich sonst immer sehr
trocken und zugeknoepft wahrgenommen habe.
Ja, ich weiss um den Konsumismus. Eine der bestimmenden elemente in
Latein Amerika. Und dies, obwohl die notwendigkeit der creativen
selbstorganisation so sehr im raum steht. Fuer Europa sehe ich das etwas
anders. Aber eben nur in der aeusseren fassade. Der inhalt ist der gleiche.
Dass Allan diese diskussion so selbstverstaendlich weiterfuehrt, finde
ich sehr gut. Weil doch, in den einzelnen passagen, ohne die konkrete
einsicht, viel allgemeines enthalten ist.
Wir nutzen die telekommunikation, um ueber geografische distanzen
soetwas wie einen raum entstehen zu lassen, wo wir ueber schall und
lichtreflektion uns direkt verbinden koennen. Aber damit schaffen wir
keine neue qualitaet, sondern nur einen erweiterten handlungsraum.
Wir formulieren das ziel, dass jedes geraet sich mit jedem anderen
geraet verbinden kann, wenn dies es will. Wir transportieren digitale
daten in packetform und benutzen hierfuer die transport information, den
IP header, Wir bewegen uns deshalb nur auf dem transportlevel von packeten.
Wie nun die menschen diese geraete nutzen, ist ihre angelegenheit. Wir
beschaeftigen uns nur damit, dass dies moeglich ist. Aber damit betreten
wir sofort einen anderen raum. Fuer uns steht die telekommunimation im
vordergrund und nicht die kommerzialisierung der telekommunikation. Das
drum herum, wo nur so getan wird, als wenn...
Und damit rueckt die hardware in den vordergrund und mit ihr die
physikalischen grundlagen. Ich sage, solange wir uns nur darauf
beschraenken, was wir in jedem bau- oder supermarkt finden, versperren
wir uns diejenigen raeume, die ausserhalb dieser trampelplaetze existieren.
Aus meiner erfahrung in Deutschland und Europa und jetzt aus Latein
Amerika weiss ich, dass die meisten derjenigen, die sich angeblich mit
telekommunikation beschaeftigen, nicht wissen, was das ist. Sie
operieren mit synonymen, deren konkreter gehalt sich ihnen nicht
erschliesst.
Insofern sage ich, dass dies nur aus dem feld derjenigen entstehen kann,
die eine klares interesse fuer eine freie kommunikation ueber alle
geografischen grenzen hinweg haben. Auch wenn das nicht die mehrheit ist.
Der creative umgang mit den technologien und ihren zugrunde liegenden
theoretischen bestimmungen ist insbesondere fur die jungen menschen eine
aufregende angelegenheit. Und sie lernen so, dass die handhabung und
realisierung dieser technischen systeme nicht ursaechlich mit geld
verbunden ist. Dies gilt nur in einer umgebung, wo das geldgetriebene
distributionssystem implementiert wurde oder wird. Aber immer haben wir
die moeglichkeit, die telekommunikation aus dem bereich des geldsystems
heraus zu nehmen, wenn wir dies wollen.
Das urspruengliche thema mit Yanosz ist etwas in den hintergrund
gerueckt. Und das ist auch ok. Es war wichtig, diese debatte mit Marcus
und marc und anderen zu fuehren. Vielleicht agiere ich jetzt zu frueh.
Das kann ich nicht beurteilen. Ich sehe auch, dass es dabei nicht um
telekommunikation geht, sondern eher um persoenliche verhaeltnisse und
irgendwelche formalen anforderungen, die ich nicht nachvollziehen kann.
Und manchmal habe ich auch den eindruck, dass sich die Freifunk-freunde
zu viel mit den bestehenden hard- und software packeten beschaeftigen
und nur wenig mit den zugrunde liegenden fragen. Das routing, also die
navigation der packete, ist ja ein direktes beispiel dafuer.
Aber ich will hier nicht und wollte auch nie die FreiFunkerInnen in
ihrem tun destruktiv kritisieren. Aus dem wissen, dass die
telekommunikation in form eines internets nur aus den lokalen
aktivitaeten entstehen kann, und die realisierung der dafuer notwendigen
technologien nur aus der kollektiven aktion der vielen moeglich ist, ist
mein beitrag in dieser liste eher initiativ.
Es geht letztlich um die freie technologie. Ein globales netwerk von
menschen, die die theoretischen und praktischen grundlagen der
technischen systeme auch fuer die telekommunikation gemeinsam erarbeiten
und die ergebnisse allen frei zur verfuegung stellen. Und es ist voellig
klar, dass dies meist nur ein kleiner teil der aktivisten in den
verschiedenen bereichen tragen wollen.
Fuer die FreiFunk Communities koennte dies bedeuten, dass aus dem
erfahrungsfeld heraus die anforderungen entstehen, die dann gemeinsam
mit anderen untersucht und deren loesung realisiert werden. Weil die
anforderungen tragen immer einen allgemeinen teil in sich, der ueberall
in den verschiedenen globalen community network gruppen existiert.
Wichtige gruppen sind die hacklabs and makelabs and fablabs aus dem
hackerspace, die ja weltweit existieren. Eine gewaltige kraft, die da
noch ruht und ihr potential nach entfaltung ruft.
mit lieben gruessen, willi
Foz do Iguarru, Brasil
auf dem weg nach Paraguay
Am 26/07/2016 um 13:10 schrieb Christoph Franzen:
> Am Fri, 22 Jul 2016 18:07:20 -0300 schrieb willi uebelherr
> <willi.uebelherr at gmx.de>:
>
> Hallo Willi,
>
>> Die Schwierigkeit liegt mehr in unserem eigenen Denken. Wir muessen
>> uns befreien, um die Telekommunikation befreien zu koennen. Weil
>> jeder Akt in diesem Raum mit seiner Ausdehnung und Wirkungsmacht
>> notwendig eine Kooperation vorraussetzt, wird eben diese kooperative
>> Diskussion notwendig.
>
> die meisten Leute wollen aber einfach nur kommunizieren, miteinander
> reden, Nachrichten austauschen und nicht wegen schwer durchschaubarer
> Abhängigkeiten erstmal die Kommunikationsmittel selber bauen oder
> wenigstens komplett selber betreiben.
>
> Wieviele von den Leuten mit Führerschein können Autos bauen?
>
>> Wie du sagst, wir brauchen die politische Perspektive, damit wir auch
>> in der technischen Sphaere die Orientierung nicht verlieren.
>
> Diese Sphäre interessiert die meisten nicht sonderlich.
>
>> Gemaess heutiger Zustaende, dass die Monopolisierung der Technologien
>> […] Weil im Verhaeltnis zu den Zustaenden in Latein Amerika lebt
>> ihr ja recht sorglos.
>
> Ja – genauso sorglos IST man dann aber auch im Normalfall. Bei Euch ist
> man's vielleicht weniger, hat aber andere, größere Sorgen, vor denen
> der „Konsumismus“ als Problem in den Hintergrund tritt.
>
>> Aber dass die Menschen in Europa ihre Moeglichkeiten nicht nutzen,
>> die vorgebenen Propagandismen ein bisschen zu hinterfragen, das
>> erstaunt mich.
>
> Mich nicht. Ich erlebe das Phänomen bei den Pfadfindern: die sind nicht
> unpolitisch und recht idealistisch drauf, aber kommunikationstechnisch
> voll auf dem üblichen Konsum-Pfad unterwegs.
>
> Ich könnte nun endlos über die modernen Handy-Hohlspacken schimpfen, die
> sich gedankenlos jeden überteuerten Mist aufschwatzen lassen, würde
> aber nichts helfen.
>
> Dann und wann muß ich mir als Vorwurf anhören, daß ich mir kein
> Mobiltelefon anschaffe (obwohl ich objektiv betrachtet per Festnetz
> nicht schlechter zu erreichen bin als die anderen mit ihren
> Smartphones), als Whatsapp-Verweigerer geht schon mal ein guter Teil der
> Kommunikation an mir vorbei.
>
> Bei Slack habe ich mich jetzt doch angemeldet, weil ich sonst hier
> Flüchtlingen nicht effizient freifunkmäßig helfen kann; die Aachener
> benutzen das eben, obwohl man das als Freifunk-Gemeinschaft
> hinterfragen und „besser“ (aber eben nicht einfacher) machen
> könnte/sollte.
>
> Der Mechanismus ist einfach: die anderen sind schon bei einem
> Kommerz-Anbieter angemeldet und ziehen ihren Dunstkreis mit. Da kann
> man nicht mal eben nachträglich eine freie Alternative etablieren, die
> dann auch noch tendentiell schwieriger zu handhaben ist.
>
> Nehmen wir mal die Internet-Telefonie als Beispiel, warum das so ist:
>
> Skype: lädt man sich runter, es bohrt unbemerkt wahllos automagisch
> Löcher in die Firewall und funktioniert dann „irgendwie“; hat man eine
> Kamera, geht auch Video „von selber“.
>
> Mumble: Erstmal finden, installieren und sich mit dem
> Kommunikationspartner auf einen Server einigen oder gar einen
> aufsetzen. Hat man dabei Probleme und einen Ort gefunden, wo man fragen
> kann (ich übertreibe jetzt mal ein wenig), muß man sich vom gemeinen
> Nerd als DAU beschimpfen und mit „RTFM“ abkanzeln lassen, weil die
> Frage nervt, die schon gefühlte drölfzig Fantastillionen Mal
> beantwortet worden ist. Viel Spaß beim Echos und Rückkopplungen
> Wegkompensieren und beim Rausfinden, was „Push to Talk“ ist. Und dann
> wäre da noch die Registrierung bei so manchem Server mit Zertifikat…
>
> SIP: unbeschreibliche Konfigurations-Hölle, kein Nicht-Geek schafft es,
> auch nur den eigenen Heim-Router zu überwinden und ohne einen
> kommerziellen Anbieter auszukommen, selbst wenn die Fritzbox zu Hause
> das kann. Braucht man dann typischerweise dynamisches DNS für.
>
> Die Kommerziellen machen Werbung, werden also zuerst gefunden,
> besonders wenn „kostenlos“ dransteht; man braucht bloß ein paar mal
> auf „weiter“ zu klicken, bei Open Source muß man sich hingegen mühsam
> alles zusammensuchen und danach sein gesamtes Umfeld auch davon
> überzeugen.
>
> Wunderst Du Dich noch immer? Ich mich nach wie vor nicht.
>
> Viele Grüße, Christoph
> _______________________________________________
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