[WLANnews] Hier beginnt ein endloser Ideologie-Thread über Freifunk-Grundsätze

elektra onelektra at gmx.net
Mo Aug 11 14:40:04 CEST 2014


Liebe Leute –

ich habe mit Verwunderung Euren langen Thread überflogen und habe gezögert, da rein zu grätschen. Es ist interessant zu sehen, wie sich aus Ideen im Laufe der Jahre ideologische Streitfragen entwickeln. Warum soll ich Lebenszeit mit sinnlosen Diskussionen beschweren? Allerdings habe ich den Wunsch, dass der Freifunk-Gedanke der Gesellschaft (und damit auch mir!) etwas Gutes tut und deshalb fühle ich mich – zumal auf der Berliner Mailingliste – ab und zu gezwungen, mich einzumischen. Normalerweise komme ich mit dem psycholgischen Holzhammer (oder eher Keule), wenn ich es nicht mehr ertrage, was da vor sich geht. Wer die Berliner Liste verfolgt, weiß was gemeint ist. 

An diesem Punkt vielen Dank an André Gaul für die sinnvollen und guten Beiträge. 

Einige haben jetzt über Netzwerktopologien debattiert. Die sind mir egal, solange das Netz den Menschen dabei dient, Freiheit, Kommunikation und Selbstorganisation zu fördern. 

Das Leben von Menschen, die überwacht werden, die mehr mit sich selbst als mit anderen kommunizieren, die unfähig sind ihr Leben selbständig in Kooperation mit anderen zu organisieren, wird von anderen 'von oben herab' bestimmt. Solche Menschen können sich einreden, sie seien dabei doch frei und souverän, weil sie alle paar Jahre in einem Ritual ihre Selbstverantwortung 'nach oben' abgeben und an andere deligieren. Nur um die ganze Zeit dabei zu jammern, wie schlecht und korrupt jene Leute den Job machen, den sie doch eigentlich selbst erledigen sollten: Ihr Leben in die Hand nehmen und selbst organisieren. Schon ein alter römischer Philosoph wusste: "Frisch gewagt, ist halb getan. Habe Mut, klug zu sein. Fange jetzt damit an." Daraus machte dann Immanuel Kant den Satz: Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit – usw usf.

Das sind meine Ziele, ich hoffe mal, es sind auch Eure. Die Freifunk-Idee soll dabei helfen.

Ist Freifunk nun ein reines Mesh-Netz oder nicht? Diese Frage ist ziemlich sinnlos, denn wenn man ein größeres Netzwerk aufbauen will, kommt man um ein Routingprotokoll nicht herum. 

Mesh = Multipunkt-zu-Multipunktkommunikation + Routingprotokoll

Schauen wir uns den ersten strittigen Punkt mal an: Das Routing. 

Das manuelle Eintragen von Routen ist erstens mindestens für den Anfänger verwirrend und man schießt sich dabei auch mit Erfahrung immer noch gerne in den Fuß. Zu allem Überdruß: Sobald was ausfällt muss man manuell eingreifen. Das ist in größeren Netzen einfach nicht praktikabel. Also auch ein Netzwerk im Infrastukturmodus, wo jeder Link eine Punkt-zu-Punkt-Verbindung darstellt braucht dynamisches Routing. Die Behauptung, die Sache würde zuverlässiger, wenn man es umgekehrt macht, ist nachgerade absurd. Also kommt man auch zur Einbindung von P2P-Verbindungen in ein größeres Netzwerk nicht umhin ein Routingprotokoll einzusetzen. Letzten Endes ist ein gutes Routingprotokoll ein Schritt zur Selbsthilfe – im Englischen sagt man Empowerment. Im Idealfall aktivieren Leute die mit dem ip-Kommandon nicht intim sind ein Routingprotokoll und das mindert die Kopfschmerzen für Anfänger beim Netzaufbau. (Zu Risiken und Nebenwirkungen – Sie wissen schon...) 

Nun den zweiten Punkt: Multipunkt-zu-Multipunktkommunikation

Radiokommunikation ist immer Multipunkt-zu-Multipunkt. Jede Station, die auf dem gleichen Kanal funkt, kann und muss zuhören, sonst klappt der koordinierte Zugriff auf das gemeinsame Medium "elektromagnetisches Spektrum" nicht. Und ohne Koordination klappt es eh nicht. Daher ist das Infrastruktur-Modell "Master-Client" mindestens ineffektiv, eine künstliche Beschränkung, die eher die gegenwärtige kulturell bedingte Denkweise der Ingenieure wiederspiegelt. Will man mit Funkwellen den Ersatz für ein Kabel nachbilden, dann kann man die physikalisch bedingte Multipunkt-zu-Multipunktkommunikation durch technische Maßnahmen beschränken: Eine schmale Richtcharakteristik der Antennen beim Senden und Empfangen. So hat man eine schnelle Verbindung und stört nur sehr wenige andere, die zufällig in der Strahlungskeule befinden. Aber auch mit denen muss man den Kanalzugriff koordinieren. Gibt es nur eine P2P-Verbindung ist der Fall klar: Kein Mesh. Ein Routing braucht es auch nicht. Wozu sollte es zwischen zwei Punkten dienen? Gibt es aber an beiden Standorten mehr als nur eine P2P-Verbindung sind wir schon wieder bei Multipunkt-zu-Multipunktkommunikation und wenn die Betreiber_Innen dann noch ein Routingprotokoll installieren sind wir wieder beim – Mesh.

Schaut Euch einfach ein Einkaufsnetz oder ein Fischernetz an. Sehr ihr die Maschen? Jeder Knoten hat mindestens drei Verbindungen zu den anderen Knoten. Hätte er nur zwei, so wäre es nur ein Seil mit vielen Knoten ;) Aber was will man mit einem Seil mit vielen Knoten darin? Sich daran erinnern, den Lottoschein rechtzeitig abzugeben?! ;)


Beste Grüße,
Elektra


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