Die Knotenaufsteller

Fabian Bläse fabian at blaese.de
Mi Aug 8 21:40:50 CEST 2018


Hallo zusammen,

gleich vorneweg: die Mail, auf die ich antworte, ist lang, kann sein, dass ich dort etwas falsch verstanden habe.

In meinen Augen wurde hier das Freifunk-Konzept falsch verstanden.
Freifunk scheint für viele ein “Überall-WLAN” mit “Internet für jeden” zu sein. Das ist Freifunk meiner Meinung nach aber NICHT, zumindest nicht vorrangig.

Beim Freifunken geht es darum, ein eigenes Netz aufzubauen. Peeringpunkte (so etwas wie auf St. Markus [1] zum Beispiel. Ja, die Verbindungen sind alle echt, keine Tunnel) zu betreiben. Sich gegenseitig technisch sinnvoll zu vernetzen. Sich mit Netzwerkinteressierten über Netzwerke und deren Technik auszutauschen.
Dass dieses Netz zufällig auch noch “mit dem Internet peert” ist dabei eher ein Nebenprodukt, wenn auch ein nicht ganz uninteressantes.

Versteht mich bitte nicht falsch, das spricht erstmal nicht gegen die gewöhnlichen Knoten, von denen wir so viele haben.
ABER: Der Zweck derer sollte nicht sein, einen kostenlosen Internethotspot hinzustellen. Dafür gibt es bessere Lösungen, die auch nicht zu Lasten der Community gehen. Durch die Knoten erreicht man einen einfachen Weg, sich an das Freifunk Netz anzuschließen, ohne sich Anfangs mit den tiefen technischen Finessen auszukennen. Das ist einerseits als Einstig sehr hilfreich, andererseits auch um Standorte an das Freifunk Netz (ich schreibe hier bewusst NICHT “an das Internet") anzubinden, bei denen ein größerer Aufbau technisch keinen Sinn ergibt. Das sind wohl auch die beiden einzigen Gründe, warum ich mir überhaupt die Mühe mache, die Firmwareentwicklung immer wieder ein wenig voranzutreiben, obwohl ich selbst keinen einzigen “gewöhnlichen” Knoten betreibe.

Das blinde Aufstellen von Knoten verbraucht Ressourcen, hilft der Vernetzung und damit der Community aber bestenfalls ganz wenig.

Die wichtigsten Teilnehmer im Freifunk sind also weder die, die Blind so viele Knoten wie möglich in die Welt setzen, um mehr Hotspots zu haben [Knotenaufsteller], noch die, die die Kapazitäten dafür bereitstellen.
Die wichtigsten Teilnehmer im Freifunk sind die, die sich - wie oben beschrieben - in irgendeiner Form an der Community beteiligen. Auf Treffen kommen. Sich mich anderen austauschen. Standorte akquirieren. Sich mit den technischen Hintergründen auseinandersetzen. Etwas dazulernen. An andere weitergeben. Sich mit anderen aktiv vernetzen.

An dieser Stelle wichtig: natürlich muss nicht jeder alles machen/können. Wichtig ist hier nur ein Interesse für das Thema und Motivation, aktiv mitzuwirken.

In letzter Zeit hat sich die Communitybeteiligung (bis zu der Diskussionsmail von Tim) sehr in Grenzen gehalten. Beim Planungsmumble für das deutschlandweite!! Freifunk-Treffen “18FFF” war nur ein einziges nicht-Vereinsmitglied anwesend.
Inzwischen sieht das meiner Meinung nach schon eine gute Ecke besser aus, es gab einige Resonanz auf die Diskussionsmail von Tim. Sehr gut.

Und von der technischen Seite: Ein paar Leute (im Mailverlauf als “Kernteam” bezeichnet) und ein einzelner von den gleichen Leuten gestemmter Verein stellen für einen Großteil von Franken sämtliche Ressourcen bereit, kümmern sich um funktionstüchtige Gateways und Hoods; und das für jede Menge Hoods, in denen sie nicht mal selbst Router stehen haben, teilweise hunderte Kilometer entfernt. So darf das einfach nicht aussehen.
In meiner “Traumwelt” betreibt jede größere Gegend möglichst ihre Hood selbst, mit eigenem Gateway.

Macht mit! Trefft euch! Vernetzt euch! Tauscht euch untereinander aus! :-)
Dann macht Freifunk allen viel mehr Freude, als das blinde Aufstellen von Knoten um irgendwo kostenlose Internet-Hotspots aufzustellen.


Fabian

[1] https://monitoring.freifunk-franken.de/map?mapcenter=49.43062,11.06843,16 <https://monitoring.freifunk-franken.de/map?mapcenter=49.43062,11.06843,16>


> On 6. Aug 2018, at 20:55, fff at mm.franken.de wrote:
> 
> Lieber Freifunker,
> 
> ich übernehme hier mal die Rolle des "Knotenaufstellers" - Tim, Du
> weisst ja, dass ich mich durchaus auch in anderen Sphären bewege ;-) -
> und stelle mich (i.S.v.  Storytelling) in dieser Rolle mal vor.
> Vielleicht erkennt sich der eine oder andere ja darin wieder, oder
> erkennt Zusammenhänge, die vorher vielleicht nicht so klar waren.
> 
> - - - -
> 
> Als Knotenaufsteller bin ich Teil der wichtigsten Truppe von FF :-)
> Ich mache den Vertrieb. Ich bin der Schlüssel zum Kunden.
> 
> Als Knotenaufsteller habe ich viele Aufgaben.
> Ich muss an Orten, wo viele potentielle Kunden sind, Menschen finden,
> die dort ein Fenster haben, wo sie einen Freifunkrouter aufstellen
> könnten. Dann muss ich herausfinden wie ich sie treffen und wie ich sie
> von der Idee überzeugen könnte. Nicht ganz einfach! Denn meistens haben
> sie Fragen oder gar Zweifel. Und dann muss ich erklären und begründen.
> Das ist der schwierigste Teil meiner Aufgabe.
> Hast Du schon mal jemandem erklärt, was "Freifunk" ist? wofür man das
> braucht? und wie es funktioniert? so, dass sie es auch /verstehen/?
> Schwiiierig...!
> Meistens muss man mehrmals hin, damit die Kunden verstehen, was sie bzw.
> wir davon haben.
> Und das ist erst der Anfang. Denn wenn er verstanden hat um was es geht,
> dann muss ich in seiner Wohnung oder seinem Laden Strippen ziehen, den
> Router flashen und anschliessen und testen. Und dann muss ich den Router
> im Betrieb überwachen und ggf. Störungen beheben.
> Nur ganz wenige Kunden sagen "aha, verstehe, mache ich selber".
> 
> Wobei "Kunde" hier nicht ganz stimmt...
> 
> Denn die echten Kunden nennen wir "Clients", also die Bürger, die
> Jugendlichen, die Armen, die Gäste, die Reisenden, die Geflüchteten.
> Also alle, die kein Internet haben (weil die Gegend noch nicht
> angeschlossen ist, die Provider nicht liefern können oder der Bagger die
> Leitung gekappt hat, die Bandbreite desolat ist, sie sich keinen Vertrag
> leisten können oder nicht dürfen, als Touristen keinen Zugang haben oder
> die Rooming-Gebühren nicht bezahlen können, oder weil von ihrer vom
> Taschengeld, Harz-4 oder der Sozialhilfe bezahlten Prepaidkarte schon
> Wochen vor Monatsende nichts mehr übrig ist).
> 
> Viele Freifunker sind selbst Clients, also ihre eigenen Kunden. Weil sie
> endlich frei surfen können wollen (ohne Einwahldaten abliefern zu
> müssen, ohne beschnüffelt zu werden, ohne Content-Beschränkung, ohne
> Zeitlimit, ohne Werbung oder gar "personalisierte" Werbung).
> Und viele Freifunker finden das so gut, dass sie das ganze System gern
> verbreiten wollen, damit /alle/ in den Genuss dieser Freiheit kommen -
> sozusagen als politische Mission.
> 
> Wobei: auch der Client ist nicht nur "Kunde" - er ist auch immer
> gleichzeitig potentieller Projektmitarbeiter! Idealerweise entwickelt er
> sowas wie "Dankbarkeit" und übernimmt - wie wir - soziale Verantwortung,
> hat Zivilcourage und politisches Engagement. Er hilft mit, indem er
> selber einen Router in sein Fenster stellt und wird damit "einer von
> uns". Ein weiterer Knotenaufsteller ist gefunden...
> Damit schliesst sich der Kreis - ein geniales Schneeballsystem :-)
> 
> Du siehst: ohne Knotenaufsteller ist FF nichts :-)
> 
> Wobei: auch das stimmt so nicht ganz...
> 
> Im Hintergrund gibt es noch die, die die Firmware für die Router
> schreiben. Das ist ein höchst komplexe Aufgabe, und dafür braucht man
> hervorragende Spezialisten! Sie haben sich das ganze System ausgedacht
> und sorgen dafür, dass die Router das können und machen, was wir
> brauchen. Und dazu gehört noch viel mehr, als nur Firmware zu schreiben.
> Dahinter ist ein ausgeklügelt pfiffiges System, das dafür sorgt, dass
> nicht nur die Freifunker, sondern auch alle Clients frei surfen können.
> Und das Geniale: auch die Firmware ist frei und kann von jedem kostenlos
> benutzt und auch von Dritten weiterentwickelt werden. Damit verbreitet
> sich die Idee der Freiheit über unser Projekt hinaus und wir werden Teil
> einer noch viel grösseren und weltweiten Freiheits-Bewegung.
> 
> Wobei: auch das können sie nicht alles alleine...
> 
> Dahinter stehen Systeme die sie nutzen, aber die sie nicht selbst
> gemacht haben. "VPN" zum Beispiel, das uns eine Basis-Funktion für
> unsere Freiheit zur Verfügung stellt.
> 
> Coole Typen, diese Firmware-Programmierer! und nett und immer
> hilfsbereit! Und immer wieder bemüht, ihre komplexen Dinge in
> verständliche Alltagssprache zu übersetzen und zu erklären. Sie haben
> ein eigenes Wiki, in dem sie alles für uns Knotenaufsteller Wichtige zum
> Verstehen und immer wieder Nachlesen aufschreiben.
> 
> Und dann gibt es noch die Richtfunker :-)
> 
> Die braucht man, wenn man keinen eigenen Internetanschluss hat, aber
> eine Sichtverbindung zu einem Freifunker, der einen Internetanschluss
> hat. Dann bauen die einfach eine Verbindung :-)
> Oder sie erklären einem, wie das geht und helfen dabei.
> Und weil ihnen das so viel Spass macht, bauen sie in ihrer Freizeit
> einfach schon mal Richtfunkverbindungen auf Vorrat und testen, wie weit
> sie damit kommen. Und sie kommen sehr weit! Vor allem, wenn es ihnen
> gelingt, auf hohe Gebäude zu kommen. Von Kirchturm zu Kirchturm sind da
> schon mal mehrere Dutzend Kilometer möglich. Und am anderen Ende holen
> sie sich das Internet von N-IX - kennst Du nicht? Ok, das würde jetzt zu
> weit führen - vielleicht ein andermal.
> 
> Und dann gibt es noch die Netzwerker...
> 
> Nein, nicht die Netzwerkspezialisten, sondern z.B. die Ministranten und
> die Mitglieder evangelischer Jugendgruppen, die den Pfarrer kennen und
> den Kirchenvorstand, und diese beschwatzen, bis wir auf den Kirchturm
> dürfen, wo dann die Richtfunker - aber das weisst Du ja schon ;-)
> 
> Ok - das ist jetzt eine lange Geschichte geworden.
> Aber das Beste kommt noch:
> 
> Alle zusammen bilden ein grosses soziales Netz.
> 
> Jeder hat darin seine Aufgabe und erfüllt diese nach bestem Wissen und
> Gewissen - und manche übernehmen auch zwei oder mehr Aufgaben.
> Alle tragen zum Grossen Ganzen bei: die Ministranten, die Richtfunker,
> die Programmierer und noch einige mehr sorgen dafür, dass wir
> Knotenaufsteller einen guten Job machen können, damit viele Clients
> Freifunk nutzen und so zum Wachstum der tollen Idee beitragen :-)
> 
> In diesem Sinne herzliches Dankeschön an alle!
> Euer Knotenaufsteller Markus

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